Musicals erfreuen sich nach wie vor an großer Beliebtheit. Durch die rasante Weiterentwicklung auf allen Ebenen wurde im Laufe der Jahre die Darbietung der Stücke außergewöhnlicher und die (technischen) Effekte spektakulärer. Auch die dargebotenen Geschichten haben sich mit der Gesellschaft verändert. So kommt es, dass Themen, die vor einigen Jahrzehnten nur mit vorgehaltener Hand besprochen wurden, nun offen auf den Bühnen dieser Welt präsentiert werden.
In diesem Sinne möchte ich fünf unterschiedliche neuere Musicals vorstellen, die bei jedem Musical-Fan ganz oben auf der Bucket-List stehen sollten:
1. Waitress – Sara Bareilles & Jessie Nelson (Premiere: 2016)
Die Geschichte des Musicals „Waitress“ basiert auf dem gleichnamigen Film, welcher von Adrienne Shelly geschrieben und 2006 erschienen ist. Das Musical schafft es, das Leben seiner authentischen Protagonist*innen in seinen vielfältigen Facetten darzustellen und nimmt das Publikum dabei auf eine emotionale Fahrt voller Höhen und Tiefen mit. Begleitet werden diese Stimmungen stets von eingängigen Liedern, welche es den Zuseher*innen leicht machen, komplett in der Welt dieses Musicals zu versinken. Erwähnenswert an dem Musical sind außerdem seine starken Frauencharaktere und die feministischen Werte, die es vermittelt.
Hauptprotagonistin des Musicals ist die Kellnerin Jenna, die sich in einer sehr misslichen Lage befindet: Sie ist ungewollt schwanger von ihrem Ehemann Earl, der sie missbraucht. Das einzige, was ihr noch Halt im Leben gibt, sind ihre Arbeit als Kellnerin in einem kleinen Diner, ihre zwei Arbeitskolleginnen und Freundinnen Becky und Dawn und ihre Leidenschaft zum Backen. Als Jenna’s Gynäkologe Jim in ihr Leben tritt, der ebenfalls (unglücklich) verheiratet ist, fliegen sofort die Funken und die beiden beginnen eine Affäre miteinander. Es vergehen Monate und Jenna steht nun kurz vor ihrer Geburt. Jenna, die im Laufe des Musicals eine enorme Entwicklung bzgl. ihres Selbstwerts und ihrer Prioritäten gemacht hat, beschließt nach ihrer Geburt sich von allen Fängen zu lösen und ihr Leben selbst in die Hand nehmen zu wollen. So teilt sie ihrem Ehemann mit, dass sie sich von ihm scheiden werde und auch mit Jim beendet sie kurzum ihre Affäre, da sie nun sich und ihre Tochter in den Mittelpunkt stellt und neu anfangen möchte. Schlussendlich übernimmt Jenna das Diner und blickt von nun an optimistisch und selbstbewusst in ihre Zukunft.
2. Kinky Boots – Harvey Fierstein & Cyndi Lauper (Premiere: 2012)
Müsste man „Kinky Boots“ mit drei Worte beschreiben wären „bunt“, „glitzernd“ und „originell“ garantiert passende Optionen. Das Musical, dessen Geschichte auf wahren Begebenheiten sowie auf dem gleichnamigen Film, welcher 2006 erschienen ist, basiert, sticht mit seiner einzigartigen Geschichte aus der Masse heraus. Hinzu kommen die schwungvolle Musik und der besondere Charme, wodurch es das Musical schafft, die tendenziell eher verklemmte Art unserer Gesellschaft aufzulockern und Hemmungen abzubauen.
Das Musical erzählt die Geschichte von Charlie Price, der die Schuhfabrik seines verstorbenen Vaters erbt und große Schwierigkeiten damit hat, diese vor dem Ruin zu bewahren. Durch einen Zwischenfall lernt Charlie zufällig Simon kennen, der regelmäßig mit seiner Tanz-Gruppe als Drag Queens auftritt. In einem Gespräch klagen diese über die dünnen Absätze ihrer High Heels, die ihrem Gewicht oft nicht standhalten. Charlie sieht in diesem Problem eine profitable Marktnische, die die Rettung für die Schuhfabrik bedeuten könnte. Zusammen mit seiner Mitarbeiterin Lauren, die heimlich ein Auge auf Charlie geworfen hat, entwirft er einen robusten, aber dennoch eleganten High Heel, von dem Lola und die anderen Drag Queens begeistert sind. Gemeinsam beschließen sie in die Produktion zu gehen und die Modelle auf einer Fashion-Show in Mailand zu präsentieren. Es kommt im Laufe des Stücks zu einigen Herausforderungen, doch schlussendlich gibt es ein "Happy End": die „Kinky Boots“ werden von allen bejubelt und Charlie findet mit Lauren zusammen sein privates Glück.
3. Hamilton - Lin-Manuel Miranda (Premiere: 2015)
Mit „Hamilton“ zeigt Miranda eine völlig neue Facette des Musicals. Er hat es damit auf eine einzigartige Weise geschafft, eine Geschichte des 19. Jahrhunderts mit modernen Hip Hop- und Rap-Elementen zu erzählen. Damit hat er nicht nur die Welt der Musicals um ein Vielfaches bereichert, sondern auch jüngere Generationen, die mit dem „klassischen“ Sound des Musicals zuvor nichts anfangen haben können, für dieses Genre begeistert.
Namensgeber für das Musical ist der amerikanische Gründervater Alexander Hamilton. Das Musical erzählt auf mitreißende Art und Weise die Geschichte dieses überambitionierten karibischen Einwanderers, der das heutige Amerika maßgeblich mitgestaltet hat. Das Musical nimmt die Zuseher*innen mit auf eine emotionale Reise durch die (zugegeben, nicht immer hundertprozentig korrekt dargestellte) Biografie dieses Mannes, verzichtet dabei aber auf jegliche Glorifizierung, sondern setzt stattdessen seine Fehler (u.a. seine Affäre mit Maria Reynolds) gekonnt in Szene. Das Musical endet mit dem Tod Hamilton's, der in einem Duell gegen Sir Aaron Burr stirbt.
4. Six – Toby Marlow & Lucy Moss (Premiere: 2017)
Auch bei diesem Musical wird eine historische Biografie, um genau zu sein eigentlich sechs Biografien, inhaltlich aufgearbeitet und modern interpretiert. „Six“ überzeugt mit der emanzipatorischen Darstellung seiner Frauenfiguren und der simplen, aber dennoch aussagekräftigen Inszenierung. Das Musical beweist, dass es oft kein großes Ensemble oder außergewöhnliches Bühnenbild braucht, um das Publikum begeistern zu können.
In „Six“ erzählen die sechs Ehefrauen von Heinrich VIII. über ihr, meist nicht einfaches, Leben an seiner Seite. Das Besondere dabei? Die Damen treten als Girl-Group der Gegenwart auf und tun dies im Rahmen eines Pop-Konzerts, bei dem sich herausstellen soll, welcher der Frauen das härteste Leben an der Seite des englischen Königs hatte und es somit verdient hat, Frontfrau der Band zu werden. Nachdem jede ihre Biografie musikalisch vorgetragen hat, kommen die Frauen jedoch zum Schluss, dass sie ihr Leben nicht mehr durch Heinrich definieren und stattdessen ein selbstbestimmtes Leben führen wollen. Das Musical endet mit einem gemeinsamen Lied, indem alle sechs Frauen ihr persönliche Geschichte neu schreiben und mit einem glücklichen Ende versehen.
5. Dear Evan Hansen – Benj Pasek & Justin Paul (Premiere: 2015)
Mit „Dear Evan Hansen“ haben die Verantwortlichen hinter dem Musical den Themenhorizont dieser Sparte um einiges erweitert. Für Musicals eher „untypische“ Themen wie Suizid, psychische Erkrankungen und Mobbing werden hier gezielt in den Fokus gesetzt. Damit leistet das Werk einen wichtigen Beitrag, dass jene Themen endlich ihren „Tabu-Status“ verlieren und Teil der allgemeinen Kommunikation werden. Als wäre das nicht schon genug, hält das Musical außerdem noch einige musikalische Schätze bereit, die einen sofort ins Herz gehen und im Ohr bleiben.
Das Musical handelt vom Teenager Evan Hansen, der unter einer sozialen Angststörung leidet. Auf der Suche nach Zugehörigkeit trifft er auf Alana und Jared, die er bald schon zu seinen Freunden zählen kann. Außerdem begegnet er den Geschwistern Connor und Zoe. Connor, der sich Evan’s Verhalten falsch deutet, fühlt sich von ihm angegriffen und es kommt zu einer Rangelei. Zoe, die der heimliche Schwarm von Evan ist, entschuldigt sich daraufhin für das Verhalten ihres Bruders. Evan, der zu diesem Zeitpunkt vermehrt Suizid-Gedanken hat, schreibt in einem Brief seine Gefühle nieder. Connor liest diesen Brief und begeht wenige Tage später selbst Suizid. Connor‘s Eltern, die den Brief bei Connor gefunden haben, sprechen Evan darauf an und fragen nach, ob Evan und Connor Freunde waren. Um die Trauer der Eltern nicht zu verschlimmern, verstrickt sich Evan in Lügen und behauptet, dass Connor und er gut befreundet gewesen wären. Die Sache wird zunehmend komplizierter, besonders weil Evan im Laufe der Geschichte eine Beziehung mit Zoe führt. Als Evan seine Schuldgefühle nicht mehr länger aushält, beichtet er seine Lügen und wird daraufhin von Zoe verlassen. Das Musical endet ein Jahr nach diesem Vorfall: Zoe und Evan treffen sich das erste Mal wieder und Evan entschuldigt sich für alles. Zoe vergibt Evan und dieser schreibt daraufhin im Geiste einen Brief an sich selbst, in dem er das Geschehene reflektiert und sich das erste Mal in seinem Leben als die Person akzeptiert, die er ist.
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